„Wir Sachsen, wir sind helle, das weiß die ganze Welt! Und sind wir mal nicht helle, dann haben wir uns verstellt“, so sagt ein altes sächsisches Sprichwort. Seit seiner Kindheit wundert sich der Fotograf Frieder Bickhardt über die Idee, dass „die Sachsen“ etwas besonderes wären. Denn nicht nur in gereimten Sprüchen geht es darum, auch die Politik nutzt diesen Lokalstolz in ihren Botschaften, wie Kurt Biedenkopf im Jahr 2000 mit seiner viel kritisierten Behauptung, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus. Im Rest von Deutschland gibt es dagegen oft negative Vorstellungen, wie „die Sachsen“ so wären.
Woher kommt diese auch heute noch verbreitete Vorstellung, die Sachsen wären anders oder gar besser? Warum braucht es das? Was bedeutet es für das Zusammenleben, wenn wir uns immer wieder von „den Anderen“ abgrenzen? Wer ist beteiligt an der Konstruktion von sächsischen Identitäten?
Mit diesen Fragen und einer Großformatkamera im Gepäck hat sich Frieder Bickhardt immer wieder auf den Weg gemacht. Die Fotografie wird dabei zum Werkzeug für die eigene Auseinandersetzung, gleichzeitig kann er so seine Beobachtungen zeigen und zum Gespräch einladen. Nach gründlicher Recherche, mit ruhigen Blick vom Stativ hat er auf großen analogen Abzügen ganz verschiedene Orte, Szenen und Ereignisse in Sachsen fotografisch fest gehalten. Es sind Orte, an denen etwas passiert ist und immer noch passiert. Etwas, das für viele Teil „sächsischer“ Identität ist und werden kann.
Viel geht es dabei um Erinnerung an Geschichte, wie bei den Trauerkränzen für die Kriegsgefangenen der Wehrmacht in Zeithain oder bei der rekonstruierten Frauenkirche. Neben solchen eher „stummen“ Gesten und Orten sind auch Rituale wie eine Osterprozession der Sorben zu sehen oder gar eine mehrtägige Nachstellung der Völkerschlacht bei Leipzig. Durch die von Frieder Bickhardt vorgenommene Zusammenstellung dieser identitätsstiftenden Handlungen kommt unweigerlich die Frage auf, wer hier in welcher unbewussten oder bewussten Absicht handelt. Dass keine Form des Erinnerns neutral ist, wird vielleicht besonders deutlich am Bild der Blumen und Trauerbeigaben für das Opfer einer Messerstecherei in Chemnitz im September 2018. Innerhalb weniger Tage gab es eine massive ausländerfeindliche Mobilisierung mit Hetzjagden, deutschlandweite politische Diskussionen und das auf einem anderen Foto abgebildete große Konzert als Gegenveranstaltung. Der dafür genutzte Hashtag #wirsindmehr verweist bereits darauf, dass auch hier um Identität gerungen wird. Auf einem anderen Bild ist eine leere Wiese in der Frühlingsstraße in Zwickau zu sehen – die Stelle, wo Beate Zschäpe ihr Wohnhaus sprengte. Das Foto wirft die Frage auf, wie eine Stadt damit leben kann und es in ihre lokale Identität integriert, dass jahrelang eine Terrorgruppe sich hier verstecken konnte. Auch für die antifaschistische Bewegung aus Sachsen ist diese Frage zum eigenen Bezugspunkt geworden.
Neben diesen politisch aufgeladenen Ereignissen zeigt Frieder Bickhardt aber auch Natur. Auf einem Bild sehen wir beispielsweise einen Wald in der Sächsischen Schweiz – identitätsstiftender Ausflugsort für viele Sachsen. Erst auf den zweiten Blick wird sichtbar, dass hier ein Waldbrand gewütet hat, der zum Glück vor der ganz großen Katastrophe gelöscht werden konnte. Am Ende legt die Ausstellung auch nahe, die vielen Umbrüche nicht nur als Bedrohung für „die sächsische Identität“ wahrzunehmen. Eine Aufnahme aus Hoyerswerda zeigt Flamingos im Zoo gleich hinter dem Schloss. Sie scheinen sich hier wohl zu fühlen – auch wenn wohl kaum jemand sagen würde, dass sie zu Sachsen gehören. Sie sind einfach da.
Die Ausstellung ist eine Produktion des unofficial.pictures e.V. aus Leipzig. Der Verein, der sich als Plattform für das Erzählen des Persönlichen und Politischen mit Fotografie versteht, hatte bereits bei dem Gemeinschaftsprojekt „Neue Sichten für Hoyerswerda“ mit dem Fotostammtisch der Kulturfabrik und dem Schloss und Stadtmuseum kooperiert. Wer ihre Arbeit unterstützen möchte, kann über die Webseite www.unofficial.pictures auch die in kleiner Auflage hergestellten analogen Handabzüge aus dem Projekt im Format 80×100 cm erwerben. Das Projekt wird gefördert von der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen und war 2022 Preisträger beim simul+ Mitmachfonds im Modul ReWIR. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.